Dominique Fehlmann in Portrait
"Am Wichtigsten erscheint mir, dass Personen mit einem modernen Frauenbild am Schalthebel sitzen."
Dominique Fehlmann, General Counsel bei der SWISS, berichtet über Anforderungen an Führungspersonen, Herausforderungen während (Corona-) Krisenzeiten und die Freude, Menschen führen und fördern zu können.
Liebe Dominique, du bist seit Februar 2019 General Counsel bei der SWISS. Im März 2020 kam die Corona-Krise. Wie waren diese sehr abwechslungsreichen ersten zwei Jahre für dich?
Ich war bereits im Vorfeld über mehrere Jahre Deputy General Counsel und viele Themen waren daher bekannt. Neu war aber die Führungsrolle sowie die grössere Plattform gegenüber Management-Board und Verwaltungsrat und Kollegen. Ich habe zehn Mitarbeiter*innen im Team. Das erste Jahr, und noch mehr das zweite, waren extrem erfüllend. Endlich kann man Dinge umsetzen, die man schon lange implementieren wollte und alte Zöpfe abschneiden.
Das zweite Jahr 2020 mit der Corona-Krise hat das noch verstärkt: In der Krise ist ein General Counsel als Verbindungspunkt zum Management-Board und Verwaltungsrat eine der wichtigsten Personen, die Dreh- und Angelstelle im System. Anstatt vierteljährlichen hatten wir fast wöchentliche Sitzungen mit dem Verwaltungsrat, an denen ich teilnahm, die vor- und nachbereitet werden mussten. Mit dem Management-Board habe ich die Strategie für die immer neuen Änderungen im Laufe des Jahres besprochen, war bei Besprechungen mit dem Bund, Banken und der Lufthansa involviert. Es war eine unglaublich intensive Zeit.
Mit dem Anstieg dieser sehr zeitintensiven Aufgaben blieb umso weniger Zeit für Führungsaufgaben. Ich habe ein sehr kompetentes Team mit Mitarbeiter*innen, die selbstständig arbeiten können. Trotzdem ist es gerade in Zeiten von Home-Office umso wichtiger, Mitarbeiter*innen im Blick zu behalten.
Bevor du zur SWISS gingst, warst du vier Jahre als Anwältin tätig. Warum hast du dich für den Wechsel auf die Unternehmensseite entschieden?
Ich finde es spannend, Teil eines Unternehmens mit einem tollen Produkt und Team zu sein und sich gemeinsam zu freuen, wenn das Geschäftsjahr gut geht und gemeinsam zu leiden, wenn man in die Krise rutscht. Als Teil der SWISS begleite ich Projekte nicht wie eine Anwältin, die nur sehr kurzfristig und bei Problemen wie die Feuerwehr einspringt. Stattdessen ist meine Beratung viel umfassender und mit einem viel weiteren zeitlichen Horizont über die Jahre hinweg. Zum Beispiel war ich von Anfang an involviert, als der Entscheid gefallen ist, die alten Avros (Jumbolinos) mit den Bombardier-C-Series-Fliegern (nun A220) zu ersetzen. Ich habe die Business Cases gesehen, dann den Kaufentscheid mitverfolgt und schliesslich die Bombardier-Maintenance-Verträge mitverhandelt. Ich war dann auch beim ersten kommerziellen Flug des C-Series-Fliegers mit an Bord. Für mich ist dieses «Nahe-Dran-Sein» sehr erfüllend.
Zudem ist man als General Counsel viel mehr ein «Allrounder». Es ist unerlässlich, das Geschäft der Business Units zumindest ansatzweise zu verstehen, andernfalls kann man rechtlich nur schwer beraten und wird auch teilweise nicht ernst genommen. Es braucht daher ein gewisses Verständnis für Finanzzahlen oder z.B. auch technisches Verständnis, wenn man Schadenersatzforderungen gegenüber einem Lieferanten von «Engine Spare Parts» stellt. Das stellt auch neue Anforderungen an die Kommunikation: Wen muss man alles für welche Abschnitte einer Strategie abholen und wie stellt man sich hierfür am besten auf.
Dieser ganzheitliche Blick auf das Unternehmen gepaart mit der oben beschriebenen langfristigen Betreuung macht für mich den Reiz der Arbeit auf Unternehmensseite aus.
Spielt es eine Rolle, wie lange man bereits als Anwalt oder Anwältin tätig war, wenn man einen solchen Wechsel plant?
Meines Erachtens ist es sehr hilfreich, wenn man ein paar Jahre in einer Anwaltskanzlei gearbeitet hat und da das Handwerkszeug guter Jurist*innen gelernt hat. Es hilft mir zudem die «andere Seite» zu kennen, also zu verstehen, was meine Kanzlei an Informationen und Support braucht, um mir gute und korrekte Arbeit abliefern zu können. Ich habe in der Kanzlei auch erfahren, welcher Klient eher mühsam zu betreuen ist und gebe mir daher Mühe, nicht darunter zu fallen.
Als ich das erste Mal einen Wechsel in Erwägung zog, war ich frisch aus dem LL.M. zurückgekehrt. Damals bekam ich aber von mehreren Unternehmen die Rückmeldung, dass doch eher vier bis fünf Jahre vorherige Berufserfahrung gewünscht waren. Das kommt aber sicher auf die einzelnen Unternehmen an.
Ebenfalls habe ich beobachtet, dass manche Unternehmensjurist*innen eine Art Berührungsängste vor Anwält*innen haben. Da hilft es auf jeden Fall, wenn jemand als Anwalt oder Anwältin tätig war und mitbekommen hat, dass auch Anwält*innen nur mit Wasser kochen. Umgekehrt hilft es, wenn Anwält*innen Erfahrungen in einem Unternehmen gemacht haben, um die Bedürfnisse der Klienten besser einschätzen zu können. So können Arbeitsprodukte besser angepasst werden, dass wir sie intern direkt verwenden können.
Nicht nur vor dem Wechsel zur SWISS, auch während deiner Zeit dort hast du dich von Rückschlägen in Bewerbungen nicht davon abhalten lassen, es erneut zu probieren. Wie hast du dich hierzu immer wieder neu motiviert?
In der Tat hat es auch bei mir nicht immer auf Anhieb mit Bewerbungen geklappt und ich musste ein paar Enttäuschungen hinnehmen. Ich hatte aber das Glück, dass ich bei meiner Arbeitsstelle als Legal Counsel der SWISS eigentlich sehr zufrieden und ausgefüllt war und ich daher weiterhin eine zufriedene Arbeitnehmerin war. Dabei hat auch geholfen, dass wir uns innerhalb der Rechtsabteilung immer wieder neue Themen suchen können. So war ich anfangs für die Cargo zuständig, habe daneben aber auch immer Fragen im Bereich IP mitbetreut und habe später die rechtliche Betreuung anderer Bereiche übernommen, z.B. die der Technik oder des Marketings.
Zudem habe ich gelernt, dass ein Misserfolg im Rückblick häufig gar nicht so schlecht war und es schon richtig gekommen ist, wie es gekommen ist. Irgendwann muss man aber dann auch weiterziehen, wenn die Beförderung partout nicht kommen will – wäre ich vor zwei Jahren nicht General Counsel der SWISS geworden, wäre ich nun wohl nicht mehr bei der SWISS.
Mit der neuen Position haben sich dein Aufgabenbereich erweitert und deine Arbeitszeiten verlängert. Was war für dich so reizvoll an dieser Rolle?
Das Interessante ist sicherlich, dass man näher am Schalthebel sitzt. In dieser Rolle bekommt man fast alles im Unternehmen mit. Man sitzt in jeder Verwaltungsrats- und Management-Board-Sitzung und ist in allen wichtigen Themen involviert. Zudem kann man Entscheidungen fällen und im eigenen Kompetenzbereich die Welt nach seinen Vorstellungen formen.
Last but not least ist es für mich sehr erfüllend, Mitarbeiter*innen zu führen und zu fördern. Diese Möglichkeit, Leute beim Entwickeln zuzusehen und wenn möglich zu unterstützen, ist wohl etwas vom Schönsten überhaupt bei einer Führungsposition.
Du bist ausserdem vor drei Jahren Mutter geworden. Wie haben du und dein Mann euch organisiert, um eure beiden Berufstätigkeiten und Familienaufgaben zu vereinen?
Ich denke, dass Familie und Karriere nur funktioniert, wenn beide Partner am gleichen Strick ziehen. Ich habe das Glück, dass ich einen Mann habe, der mich zu 100% unterstützt. Gehen meine Meetings länger als geplant, kümmert er sich um unsere Tochter. Das funktioniert natürlich umgekehrt genauso. Da aber auch mein Mann beruflich mehr als gut ausgelastet ist, haben wir uns zudem für eine Nanny-Lösung entschieden. Während den ersten zweieinhalb Jahre war sie an fünf Tagen die Woche, danach an drei Tagen die Woche bei uns. Die anderen zwei Tage verbringt unsere Tochter in der Krippe. Die Nanny entlastet uns enorm und für unsere Tochter war und ist die Nanny wie eine zweite Mutter. Für uns ist das die perfekte Lösung, weil sie viel Stress aus dem System rausnimmt, auch weil die Tochter mit diesem Set-up sehr glücklich war und ist. Es ist aber eine sehr teure Lösung.
Was war für dich bei deinem Wiedereinstieg nach dem Mutterschutz entscheidend?
Ich hatte das Glück, eine sehr flexible Arbeitgeberin zu haben. Mich hat es relativ schnell nach der Geburt wieder Richtung Arbeit gezogen und ich konnte nach vier Monaten mit einem 40%-Pensum starten. Ursprünglich wäre ein etwas längerer Mutterschaftsurlaub geplant gewesen. Das diese Anpassung so spontan möglich war, hat mir damals sehr geholfen. Das Pensum konnte ich dann über neun Monate auf 70% aufstocken. Dieser etwas gemächlichere Einstieg hat mir den schnellen Einstieg erleichtert. Nach neun Monaten kam dann der Ruf zum General Counsel und das 70% Pensum war dahin…
Was wäre aus deiner Sicht sinnvoll, um Frauen in ihren Karrierewegen zu fördern?
Am Wichtigsten erscheint mir, dass Personen mit einem modernen Frauenbild am Schalthebel sitzen, also Führungspersönlichkeiten, die nicht an einem konservativen Rollenmodell der Frau festhalten. Es geht dabei weniger darum, dass Frauen etwas dazu lernen müssten, sondern dass sich die Einstellung der Männer, die aktuell in diesen Positionen sitzen, ändert. Gerade die Luftfahrt ist noch sehr männerdominiert. Mit mehr Frauen und Männern mit gesundem Frauenbild in diesen Positionen wird sich auch der Blickwinkel auf die vorhandenen Talente verändern.
Hier glaube ich, dass die Zeit für uns Frauen spielt. Die derzeitige Generation wächst mit starken Frauenpersönlichkeiten auf, hat allenfalls selbst eine berufstätige Mutter erlebt und hat keine Vorbehalte betreffend weibliche Führungskräfte. Ganz häufig stehen sich aber Frauen selber im Weg oder sindschlussendlich nicht wirklich ernsthaft an einem Karrieresprung interessiert – was ich ohne Vorwurf und Wertung feststelle und völlig vertretbar finde. Meines Erachtens muss man sich eingestehen, dass man nicht alles haben kann: Will man auf höchster Stufe im Berufsleben mitspielen, nimmt man zwingend Einbusse bei der Zeit mit der Familie (oder bei den Hobbies) in Kauf. So kann man mit drei Tagen Training pro Woche auch nicht erfolgreich als Profi-Sportler an Wettkämpfen teilnehmen; dafür muss man jeden Tag Einsatz zeigen.
Schliesslich muss man sich bewusst sein, dass innerhalb eines Unternehmens sehr viel über das interne Netzwerk und die eigene Sichtbarkeit läuft. Und das scheint mir für Frauen häufig noch nicht intuitiv erkennbar zu sein. Frauen machen exzellente inhaltliche Arbeit, suchen aber nicht so sehr das Rampenlicht und geeignete Plattformen. Männer sind da viel «verkaufsorientierter» und damit viel sichtbarer. Dem muss man sich bewusst sein, damit man hier aktiv werden kann.
Du hast erzählt, dass du mit der neuen Aufgabe auch mehr Führungsverantwortung übernommen hast. Wie geht man eine solche neue Aufgabe an?
Führung hat für mich sehr viel mit Persönlichkeit zu tun und kann man nicht wirklich lernen. Authentizität, Ehrlichkeit, Transparenz und echtes Interesse am Menschen sind für mich die wichtigsten Zutaten einer guten Führungspersönlichkeit. Wenn man diese Charaktereigenschaften nicht mitbringt, sondern allein an dem Zuwachs an Einfluss und Macht interessiert ist, wird es relativ schwierig.
Welche Arten von Führungsstilen hast du erlebt und was hast du hieraus für dich mitgenommen?
Ich habe ganz unterschiedliche Führungsstile erlebt: Vom «Delegierer», der gerne andere für sich arbeiten lässt, bis zum «Mikromanager», der alles hinterfragt und prüft.
Bei viel Delegation kann man sich als Mitarbeiter*in beweisen, bekommt interessante Plattformen und arbeitet sehr selbständig. So habe ich beispielsweise noch als Legal Counsel Positionen als Verwaltungsrätin in Tochterunternehmen der SWISS innegehabt. Bei viel Kontrolle lernt man wiederum professionelles Arbeiten auf höchster Ebene, profitiert vom Fachwissen der Führungskraft und hat einen Sparring Partner für den intellektuellen Austausch, was einem in neue Hemisphären der Gedankengänge katapultieren kann.
Ich habe von beiden Führungsstilen viel profitiert. Am Schluss macht es wohl die Mischung.
Die Geschäftsleitung der SWISS, mit der du nun ebenfalls enger zusammenarbeitest, ist ausschliesslich mit Männern besetzt. Wirkt sich das auf deine Tätigkeit aus und wenn ja, wie gehst du damit um?
Ich habe mir diese Frage noch gar nie gestellt. Aber es ist wohl schon so, dass die Arbeit anders wäre, wenn auch Frauen in der Geschäftsleitung sässen. Dieser positive Einfluss von Gender Diversity wurde ja schon mehrfach analysiert und wissenschaftlich bestätigt. Ich erlebe die Frauen in solchen Gremien oder Funktionen interessanterweise sehr häufig als die sachlichere Kraft. Es geht ihnen häufig weniger ums eigene Ego, sondern um die Sache. Dabei muss man darauf achten, dass man auch hier wie bereits oben beschrieben "sichtbar" bleibt. Interessant fand ich, wie sich bei manchen Männern die Art der Kommunikation ändert je nachdem, auf welcher Hierarchiestufe sich der Gesprächspartner befindet. Für mich hingegen macht das keinen Unterschied, ich spreche mit dir genauso, wie mit einem Vorgesetzten: ein respektvoller Umgang ist in jeder Beziehung wichtig, unabhängig von der Hierarchie.
Und was würdest du jungen Jurist*innen raten, die auch diesen Weg innerhalb eines Unternehmens gehen wollen?
Ich kann diesen Weg nur empfehlen, auch weil es bei Interesse die Möglichkeit öffnet, aus der Juristerei herauszutreten und ins Management zu wechseln. Alle meine drei Vorgänger arbeiten nach wie vor beim Unternehmen, aber in völlig anderen, nicht juristischen Funktionen. Vorher ein paar Jahre in der Anwaltskanzlei zu arbeiten erachte ich als hilfreich, es gibt das richtige Rüstzeug und auch die nötige Selbstsicherheit gegenüber aufmüpfigen Anwälten.
Welche Juristin hat dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?
Regula Dettling-Ott, Professorin, Anwältin und LHG Verantwortliche für Politisches in Brüssel, weil sie es im Luftfahrtrecht wohl zu allem gebracht hat, was man erreichen kann. Simone Stebler (Beraterin bei Egon Zehnder), weil sie den Schritt aus der klassischen Juristerei in die Personalberatung gewagt hat und querdenkt und Kecia Barkawi (Gründerin und CEO von Value Works), weil sie selber ein Multi-Family-Office aufgebaut hat, seit Jahren den Laden mit mehreren Mitarbeiter/innen erfolgreich schmeisst und…fantastisch kocht!
Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die du dir dafür genommen hast!
Zürich, 3. Februar 2021. Das Interview führte Charlotte Rosenkranz.
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