Dr. Katja Roth Pellanda im Porträt
"Mut lohnt sich in jedem Fall."
Dr. Katja Roth Pellanda, Group General Counsel bei Zurich Insurance Group, über die Herausforderungen und Chancen auf dem Weg zu einer Karriere bei einem internationalen Grossunternehmen.
Liebe Frau Dr. Roth Pellanda, Sie sind Group General Counsel bei Zurich Insurance Group. Hätten Sie sich beim Start Ihrer Karriere bereits vorstellen können, dass Sie einmal in einer solchen Position tätig sein würden?
Nein, überhaupt nicht. Auch wenn eine gute Ausbildung und die Erweiterung des eigenen Horizontes für meine Eltern immer sehr wichtig gewesen sind, bin ich in einem eher traditionellen Umfeld aufgewachsen. Meine Mutter hatte mit meiner Geburt ihre Berufstätigkeit aufgegeben, und ich bin sehr lange davon ausgegangen, dass dies der einzige gangbare Weg ist, wenn man eine Familie haben möchte. Gleichzeitig war ich aber ehrgeizig und neugierig genug, um sämtliche Ausbildungsschritte zu durchlaufen und damit die Grundlage für eine interessante Karriere zu schaffen.
Sie haben 2007 an der Universität Zürich promoviert und 2009 Ihren LL.M. an der London School of Economics and Political Sciences erworben. Welche Bedeutung messen Sie diesen Titeln bei, und welche Auswirkungen hatten sie insbesondere auf Ihre Karriere als Juristin?
Akademische Titel sind für mich per se nicht entscheidend. Aber es ist natürlich schon so, dass die Erfahrungen, welche man auf dem Weg zum Erhalt solcher Titel macht, den Verlauf einer Berufskarriere massgeblich prägen: Durch die Doktorarbeit und meine Zeit als wissenschaftliche Assistentin an der Universität Zürich habe ich gelernt, genau zu arbeiten und einer Frage auf den Grund zu gehen. Mein Aufenthalt an der London School of Economics and Political Science sowie die Zeit als Visiting Researcher an der Stanford Law School haben mir internationale Erfahrung gebracht und gezeigt, wie wichtig es ist, den Horizont über die eigene Rechtsordnung hinaus zu erweitern, was mir natürlich in meiner jetzigen Rolle als Group General Counsel sehr dienlich ist.
Sie haben sich bereits früh im Fachbereich Gesellschaftsrecht, M&A und Corporate Governance spezialisiert. Was fasziniert Sie an diesem Bereich?
Jeder dieser Bereiche hat seine eigene Faszination. Bei M&A gefällt mir die Schnelligkeit, mit welcher gearbeitet werden muss, um einen Kauf oder Verkauf erfolgreich zum Abschluss zu bringen, und bei Corporate Governance fasziniert mich die Spannbreite der Fragestellungen, da sich praktisch jeder Bereich eines Unternehmens in der einen oder anderen Weise mit Governance-Fragen auseinandersetzen und effiziente Prozesse und Strukturen entwickeln muss. Heute interessiert mich vor allem die ESG-Thematik (Environmental, Social and Governance) und hier die Frage, wie Unternehmen, öffentliche Institutionen und Regierungen im Interesse der Bevölkerung und der Umwelt nachhaltig zusammenarbeiten können und sollten.
Sie waren etwas mehr als zehn Jahre bei der Kanzlei Bär & Karrer tätig. Weshalb haben Sie sich für die Tätigkeit in einer Grosskanzlei entschieden?
Ich wollte möglichst international tätig sein und ging davon aus, dass die Klienten einer Grosskanzlei meinem Wunschbild entsprechen. Ich erinnere mich sehr gerne an diese spannende und herausfordernde Zeit. Die Tätigkeit im Team von Rolf Watter und insbesondere die Vielfältigkeit der rechtlichen Fragen sowie die pragmatische Arbeitsweise haben meine spätere Karriere ohne Zweifel wesentlich geprägt.
Nach Bär & Karrer führte Sie Ihr Weg weiter zu Novartis, wo Sie als Head of Corporate Law tätig (inklusive Secretary to the Executive Committee of Novartis) und später zusätzlich für die Bereiche Corporate Governance und die rechtlichen Aspekte von HR auf globaler und Schweizer Ebene verantwortlich waren. Was hat Sie motiviert, eine Stelle als Unternehmensjuristin anzutreten?
Nach über zehn Jahren bei Bär & Karrer wollte ich nicht mehr «nur» eine externe Beraterin sein, sondern vielmehr eine strategische Rolle innerhalb eines Unternehmens einnehmen, die in rechtlichen Fragen vom Anfang bis zum Ende gesamthaft involviert ist. Im Unterschied zu einem Anwalt in einer Kanzlei sind die Ansprechpersonen von Unternehmensjurist*innen nicht Anwälte, sondern Vertreter sämtlicher Funktionen und Berufsrichtungen, was eine Erweiterung des eigenen Horizontes mit sich bringt und auch eine andere Art der rechtlichen Beratung verlangt. Während ein*e Kanzleijurist*in nach wie vor häufig eine Stellungnahme oder eine Empfehlung für den Klienten verfasst, wird von Unternehmensjurist*innen eine zielgerichtete, konkrete und sachbezogene Lösung für ein Problem verlangt. Diese soll langfristig Gültigkeit haben und umsetzbar sein. Das führt dazu, dass ein*e Unternehmensjurist *in nicht nur in der Beratung, sondern auch in der Umsetzung die unternehmerische Verantwortung mitträgt.
Während Ihrer Zeit als Anwältin bei Bär & Karrer sind Sie Mutter zweier Kinder geworden. Wie hat sich dadurch Ihr Arbeitsalltag verändert?
Mein Arbeitsalltag und Arbeitseinsatz hat sich dadurch kaum verändert, aber die Sichtweise meiner Arbeitskollegen teilweise schon. Plötzlich wurde ich als «die berufstätige Mutter» angesehen. Einige Mitarbeitende gingen deshalb davon aus, dass ich über kurz oder lang das Arbeitspensum reduzieren oder einen anderen, weniger anspruchsvollen Job suchen würde. Und dass sich mein Interesse für strategische Fragestellungen reduzieren würde. Glücklicherweise fand hier ein Wandel statt und solche Gedanken sind heutzutage weniger verbreitet als dies früher noch der Fall war. Gleichzeitig bedeutet Mutter zu sein, aber auch eine zusätzliche Verantwortung zu haben, weshalb man mit seiner «freien» Zeit viel sorgfältiger umgeht und andere Prioritäten setzt als dies ohne Kinder der Fall ist.
Gibt es Ihrer Meinung nach Unterschiede, wie Grosskanzleien und (Gross-)Unternehmen mit dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Karriere umgehen?
Grossunternehmen können es sich heute nicht mehr leisten, dieses Thema zu negieren. Vielerorts gibt es heutzutage mehrere Wochen, wenn nicht gar Monate Vaterschaftsurlaub, und Teilzeitarbeit ist sowohl für Frauen als auch Männer oftmals in gleichem Rahmen möglich. Ich bin nicht sicher, ob in allen Grosskanzleien diesbezüglich einen Meinungswechsel stattgefunden hat. Aber ich bin sicher, dass dieser stattfinden wird, ja sogar stattfinden muss.
Haben Sie in Ihrem Arbeitsalltag als berufstätige Mutter negative oder auch überraschende Erfahrungen gemacht? Wie sind Sie mit diesen Situationen umgegangen?
Ich bin grundsätzlich ein sehr optimistischer Mensch und versuche aus den negativen Erfahrungen zu lernen, mich aber letztlich nur an die positiven Erlebnisse zu erinnern. Aber wenn Sie mich so fragen, ist es schon so, dass man als berufstätige Mutter oder generell als Frau einige überraschende Erfahrungen im Laufe seiner Karriere macht. Sei es, dass man für den charmanten Umgang mit einem schwierigen Klienten gelobt wird, während bei den männlichen Kollegen derselbe Sachverhalt mit Sach- oder Verhandlungskompetenz begründet wird, oder dass sich männliche Kollegen, deren Ehefrauen nicht berufstätig sind, über den «grosszügigen»" Ehemann wundern, der seiner Ehefrau eine Karriere ermöglicht. Leider ist es auch heute noch so, dass die Gesellschaft in der Schweiz nach wie vor Vorbehalte gegenüber im Beruf erfolgreichen Müttern hat. Das macht die Situation für deren Partner*innen verständlicherweise nicht einfacher.
Die Zeit während des Lockdowns und dem damit verbundenen Homeschooling aufgrund von Covid-19 brachte für viele Familien grosse Herausforderungen mit sich. Wie haben Sie und Ihr Mann diese bewältigt?
Glücklicherweise haben wir uns in einer sehr privilegierten Lage befunden. Während des Lockdowns von letztem Frühling hatte mein Ehemann, er ist Augenarzt, seine Praxis geschlossen und die Betreuung unserer Kinder während des Homeschooling vollständig übernommen. Seitdem wurde der Schulbetrieb an unserem Wohnort nie mehr geschlossen. Ich bin mir aber sehr bewusst, dass wir insofern eine Ausnahme darstellen und Homeschooling insbesondere für Familien, bei welchen beide Elternteile berufstätig sind, eine grosse Herausforderung und Belastung ist.
Was ist Ihrer Meinung nach ein Erfolgsrezept für Jurist*innen, die Familie und Karriere unter einen Hut bringen möchten?
Darauf gibt es meines Erachtens nur eine Antwort: Den/die richtige/n Lebenspartner*in an seiner Seite zu haben! Wichtig sind aber selbstverständlich auch ein Arbeitgeber, der flexible Arbeitsmodelle kennt sowie die Unterstützung durch Dritte, wie beispielsweise Grosseltern oder Haushaltshilfen, anzunehmen und nicht zuletzt die sich stellenden Herausforderungen mit einer guten Portion Gelassenheit anzugehen.
Die Zurich Versicherung hat Ihnen ein Jobangebot gemacht – als Deputy General Counsel und dann als General Counsel. Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie das Angebot erhalten haben?
Ich hatte verschiedene Gedanken und einige davon sind wahrscheinlich typisch für Frauen in einer solchen Situation. Bei der ersten Interviewanfrage habe ich zuerst an verschiedene andere Personen gedacht, die für diesen Job besser in Frage kommen könnten. Doch während den Interviews habe ich schnell realisiert, dass mich diese Stelle, das Unternehmen und die Führungspersönlichkeiten bei Zurich sehr interessieren und ich eigentlich auch über die notwendigen Fähigkeiten und Erfahrungen zur erfolgreichen Erfüllung dieser Aufgabe verfüge.
Was waren die bisher grössten Herausforderungen für Sie in dieser Position, und was macht Ihnen am meisten Freude?
Die grösste Hürde war für mich, über meinen eigenen Schatten zu springen und die Herausforderung anzunehmen. Danach ging eigentlich alles von allein. Selbstverständlich bringt der Alltag als Group General Counsel eines globalen Unternehmens immer wieder neue Herausforderungen mit sich, aber zusammen mit meinem hervorragenden Team können wir diese gut meistern. Es macht mir Spass mit meinem Team die Strategie für die Rechtsabteilung und unseren Beitrag im Rahmen der Unternehmensstrategie zu erarbeiten und umzusetzen. Der Fokus liegt dabei auf der globalen Zusammenarbeit und dem gegenseitigen Lernen. Es ist mir wichtig, dass meine Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit haben, sich einzubringen und weiterzuentwickeln, und dass eine transparente Unternehmenskultur herrscht.
Gibt es Ihrer Meinung nach Handlungsbedarf von Seiten Kanzleien und Unternehmen, um Jurist*innen gewisse Bedenken und Scheu vor solchen Karriereschritten nehmen zu können?
Ich glaube, die meisten Unternehmen haben mit der D&I-Bewegung (Diversity & Inclusion) die wesentlichsten Schritte eingeleitet, welche es Jurist*innen ermöglichen, einen solchen Karriereschritt zu wagen. Aber das ist erst der Anfang. Wesentlich scheint mir nach wie vor, dass es nicht genügt, wenn ein Unternehmen mehr Frauen in Leitungsfunktionen hat. Zur Diversität gehört auch, dass über die gender-spezifische Anliegen hinausgegangen wird und neben anderem auch unterschiedlichen Führungsstilen mehr Platz eingeräumt wird.
Wenn Sie Ihre bisherige Karriere Revue passieren lassen, gibt es Dinge, die Sie anders gemacht hätten und damit verbunden Inputs, die Sie jungen Jurist*innen ans Herz legen möchten?
Was die fachlichen Qualifikationen anbelangt, würde ich alles nochmals genauso machen. Allenfalls etwas früher ins Ausland gehen oder früher in ein globales Unternehmen eintreten. Heute würde ich aber viel früher darauf achten, dass ich Projekte, auch ausserhalb des juristischen Bereichs, und Jobangebote annehme, welche mich herausfordern und es mir erlauben an oder über meine Grenzen hinaus zu gehen. Uns fehlt manchmal ganz einfach die «Can do»-Mentalität. Ausserdem bin ich überzeugt, dass man nur durch Herausforderungen wachsen kann. Selbstverständlich ist dies nicht immer ein einfacher Weg und er kann ab und zu durchaus ungemütlich sein. Aber der Mut lohnt sich in jedem Fall und zudem lernt man aus negativen Erfahrungen am meisten.
Was für eine Rolle kommt Mentor*innen Ihrer Meinung nach bei der Entwicklung junger Juristinnen und Juristen zu?
Einen Mentor oder Coach zu haben, ist für die eigene Entwicklung sehr wichtig. Persönlich ist dies etwas, was ich viel zu spät erkannt habe. Lange Zeit war ich der Ansicht, dass man selbst am besten wisse, in welche Richtung man gehen soll und eine externe, unabhängige Sichtweise nicht viel Mehrwert bringt. Erst während meiner Tätigkeit bei Novartis, die mir die Teilnahme an der «Unboss, curious und inspired»-Weiterbildung ermöglichte, habe ich realisiert, dass meine Ansicht zu diesem Thema überheblich und falsch war. Heute bin ich froh, Vertrauenspersonen um mich zu haben, welche mich auf meinem Weg begleiten und unterstützen.
Genauso wichtig sind neben einem Mentor oder Coach aber insbesondere auch Sponsoren; Personen, welche an die Fähigkeiten einer (jungen) Juristin glauben und diese durch Projekte, mehr Verantwortung oder der Ermöglichung einer neuen Rolle fördern.
Welche Juristin hat Sie so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?
Ich habe kein Vorbild, aber mehrere Jurist*innen haben mich inspiriert und meine Karriere geprägt. Erwähnen möchte ich hier Ines Pöschel, welche mir gezeigt hat, dass man offen für Neues sein und Herausforderungen annehmen sollte, Jennifer Picenoni, welche sich bereits früh für eine In-house-Karriere entschieden und mir hilfreiche Tipps zur erfolgreichen Ausgestaltung einer Rechtsabteilung gegeben hat sowie schliesslich Dagmar Kamber Bohrens, durch sie habe ich relativ früh in meiner Karriere realisiert, dass beruflicher Erfolg und Familie durchaus vereinbar sind.
Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben!
Basel, 1. März 2021. Dr. Roth Pellanda hat das Interview schriftlich geführt. Die Fragen stellte Audrey Canova.
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