Anya George, LL.M. im Porträt
"Man sollte vor einem wichtigen Karriereschritt nicht aus Angst vor dem Scheitern zurückscheuen."
Anya George, LL.M., Partnerin bei Schellenberg Wittmer in Zürich, über die Herausforderungen in der Schiedsgerichtsbarkeit und im Bereich Business & Human Rights, die Ernennung von Frauen als Partnerinnen und Vorurteile gegenüber arbeitenden Müttern.
Anya, Du bist nicht nur im Schiedsverfahrensrecht tätig, sondern hast den zusätzlichen Schwerpunkt der Menschenrechte im Wirtschaftsrecht. Wie kamst Du zu dieser fachlichen Ausrichtung?
Während meines Studiums habe ich bei den Wahlfächern den Schwerpunkt auf das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte gesetzt – der Master in England war dann auf internationale Beziehungen ausgerichtet und meine Masters Thesis schrieb ich im Bereich Völkerstrafrecht. Auch mein Praktikum beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag fiel in diesen Fachbereich.
Im Anwaltspraktikum kam ich dann zur Schiedsgerichtsbarkeit. Ich fand dieses Rechtsgebiet von Anfang an enorm spannend und bin mittlerweile seit mehr als zehn Jahren in diesem Bereich tätig.
Die Entwicklungen im Bereich der Menschenrechte habe ich dabei mitverfolgt, bis ich mich 2013 während meiner Zeit bei Clifford Chance in London das erste Mal mit dem Thema Business & Human Rights näher auseinandergesetzt habe. Da stellte ich fest, dass es durchaus Berührungspunkte zwischen der Tätigkeit in einer Wirtschaftskanzlei und der Thematik der Menschrechte gibt. Interessanterweise sieht es so aus, als ob der Bogen zurück zur Schiedsgerichtsbarkeit führen könnte. Zurzeit wird nämlich diskutiert, ob Schiedsverfahren geeignete Lösungen für Konflikte im Bereich Business & Human Rights bieten könnten.
In der Schweiz hat die Konzernverantwortungsinitiative für 2019 ein besonderes Bewusstsein für die Rolle und den Einfluss der Menschenrechte im Wirtschaftsleben hervorgerufen. Was sind die Herausforderungen, vor denen Unternehmen unter dem Aspekt „Business and Human Rights“ stehen?
Wir haben es vor allem mit einer zunehmenden Regulierung in diesem Bereich zu tun – auf supranationaler wie auch nationaler Ebene. Es gibt einen deutlichen Schub von gesetzlichen Bestimmunen und Richtlinien, insbesondere im Bereich des sogenannten „Non-Financial Reporting“: Unternehmen müssen zunehmend über die Auswirkungen ihrer Tätigkeiten im Bereich Menschenrechte und Umweltschutz Bericht erstatten. Auch die Erwartungshaltung der Gesellschaft hat sich geändert. Es wird mehr Transparenz gefordert mit Bezug auf Lieferketten und Herstellung von Produkten im Ausland. Eine weitere Herausforderung bzw. Anforderung wäre eine mögliche zivilrechtliche Haftung für Handlungen von Tochterunternehmen im Ausland, über die in der Schweiz aber auch in anderen Ländern zurzeit diskutiert wird. Schliesslich sind auch ganz klar Reputationsrisiken vorhanden. Die Unternehmen merken, dass Business & Human Rights einfach ein Thema ist, mit dem sie sich befassen müssen. Die grösste Herausforderung betrifft wohl die Tätigkeit im internationalen Kontext – hier müssen die Unternehmen nicht nur die verschiedenen nationalen Regelungen im Auge behalten, sondern auch sehr genau registrieren, was an welchem Standort geschieht.
Besteht hier auch ein Druck aus dem europäischen Ausland?
Eindeutig druckerhöhend generell auf europäischer Ebene wirkt die Non-Financial Reporting Richtlinie der EU (RL 2014/95/EU). 16 EU-Länder haben auch sogenannte „National Action Plans on Business and Human Rights“ verabschiedet - weltweit haben dies bisher nur 7 andere Länder getan, inklusive der Schweiz. Ich würde nicht sagen, dass der Druck auf die Schweiz aus dem europäischen Ausland erhöht wurde, sondern vielmehr, dass die Schweiz bisher im gleichen Schritttempo wie die europäischen Länder unterwegs ist. Mit der Annahme der Konzernverantwortungsinitiative oder des aktuellen Gegenvorschlags dazu würde die Schweiz aber vergleichsweise eher in eine Vorreiterrolle geraten.
Du hast sowohl in der Schweiz als auch in England gearbeitet. Was für Erfahrungen hast Du aus dieser breiten Ausbildung in zwei Rechtsordnungen gezogen?
Ich habe einfach viel über beide (Rechts-)Kulturen gelernt, insbesondere, wie man sich vor Gericht verhält. Mein Verständnis dafür, was Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz für den Einzelnen bedeutet, wurde massgeblich während meiner Zeit in London geprägt. In England muss der Mandant über den Solicitor und den Barrister an die höheren Gerichte herantreten, er kann sich nicht selbst vertreten. Dadurch besteht ein grosser Abstand zwischen dem Rechtssuchenden und den Rechtspechenden. In der Schweiz ist der Zugang zu den Gerichten viel direkter.
Auch die Art und Weise, wie vor Gericht aufgetreten wird und wie beispielsweise Zeugen vernommen werden, ist ganz anders in England als in der Schweiz. Das, was ich in dieser Zeit beispielsweise über cross-examination gelernt habe, konnte ich direkt auf die Schiedsgerichtsverfahren übertragen. Diese sind teilweise sehr stark durch die angelsächsischen Traditionen geprägt; die Art und Weise, mit dem ein solches Kreuzverhör durchgeführt wird, ist sehr interessant und spannend! Ich denke, dass gerade wegen dieses „inter-kulturellen“ Verständnisses im Verfahrensrecht eine solche Erfahrung in einer common law jurisdiction für die Tätigkeit im Schiedsverfahrensrecht unerlässlich ist.
Du hast neben dem schweizerischen Anwaltspatent auch die Zulassung als Anwältin in England und Wales. Was war für Dich an der doppelten Zulassung attraktiv?
Für mich war das Attraktive an der doppelten Zulassung, dass ich Fälle sowohl nach common law wie auch nach civil law betreuen kann, was in der Schiedsgerichtsbarkeit von grossem Vorteil ist.
Du bist 2019 zur Partnerin ernannt worden – gemeinsam mit drei weiteren Frauen von insgesamt fünf neuen Partnern. Wie waren die Reaktionen hierauf?
Sehr positiv! Viele haben es als starkes Zeichen gesehen, dass sich Schellenberg Wittmer für Frauen einsetzt.
Es wäre natürlich schön, wenn die Ernennung von vier Frauen gar keinen Anlass zu Bemerkungen geben würde - sondern als normal empfunden würde. In unserem Fall wurden einfach die Personen befördert, die sich bewährt hatten. Das zeigt vor allem, dass in der Kanzlei eine Kultur herrscht, die dazu führt, dass sich Frauen wohl fühlen und auch bis zur Partnerschaft bleiben!
Gab es für Dich Vorbilder oder Mentoren, die Dich auf Deinem Weg begleitet oder gefördert haben?
Christopher Boog, Partner in unserer Kanzlei, hat mich Schritt für Schritt auf dem Partner Track begleitet. Er ist ein hervorragender Jurist und Stratege, und ich habe viel von ihm gelernt. Ich habe über die Jahre aber von allen Partnern, mit denen ich zusammengearbeitet habe, etwas mitgenommen. Es ist meiner Ansicht nach auch sehr wichtig, diese Vielfalt von Begegnungen und Erfahrungen zu haben.
Was würdest Du Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteigern mitgeben wollen, die auf der Suche sind nach einer Mentorin oder einem Mentor?
Natürlich ist es schön, wenn man eine Person findet, bei der man eine persönliche Affinität hat und mit der sich dann eine Mentorenbeziehung ganz natürlich entwickelt. Ich würde aber dennoch empfehlen, mit verschiedenen Personen zu sprechen und durch die unterschiedlichen Erfahrungen zu lernen. Es muss auch nicht immer der Beste weg sein, sich zu sehr auf eine Person zu fokussieren. Dadurch kann die Gelegenheit verpasst werden, zu anderen interessanten Personen eine Beziehung aufzubauen.
Welchen Rat würdest Du jungen Juristinnen und Juristen geben, die Karriere innerhalb einer Wirtschaftskanzlei machen möchten?
Man sollte sich fachlich etwas aussuchen, das einem wirklich Spass macht. Man kann nur weiterkommen, wenn man es gerne macht. Nur dann lohnt es sich, die vielen Stunden zu arbeiten und auch gewisse Opfer zu erbringen, weil es am Ende einfach eine unglaubliche Freude bereitet, in einem spannenden Bereich tätig zu sein. In eine Wirtschaftskanzlei zu gehen, hatte ich ursprünglich überhaupt nicht vor, das hat sich für mich einfach so ergeben. Und dann war es genau das Richtige für mich. Man sollte auch sicher die Kanzlei sorgfältig auswählen. Die Kultur und die Arbeitskollegen müssen einem passen.
Du bist kurz nach Deiner Ernennung zur Partnerin Mutter geworden. Wie hast Du diese beiden bedeutsamen beruflichen und privaten Schritte für Dich verbunden?
(lacht) Noch bin ich im Mutterschaftsurlaub (Mutterschutz) – die Frage werde ich also in ein paar Wochen, nach meiner Rückkehr zur Arbeit, besser beantworten können! Aber ich denke, man muss wissen Prioritäten zu setzen. Nach der Rückkehr zur Arbeit wird es darum gehen, genau rauszufinden, wie das geht. Ganz wichtig ist aber sicher der Partner – schliesslich hat man das Kind ja zu zweit bekommen! Wir werden da sicher schauen, wer was übernehmen kann, zumal mein Partner in seinem Beruf teilweise mehr Flexibilität hat als ich.
Ich denke aber, dass das sowohl privat als auch beruflich weitestgehend eine natürliche Entwicklung ist. Als Partnerin habe ich dann noch einmal ein anderes Mass an Flexibilität, die es erlaubt, auch die Arbeitsbedingungen festzulegen.
Grundsätzlich würde ich sagen, dass man vor einem wichtigen Karriereschritt nicht aus Angst vor dem Scheitern zurückscheuen soll. Wenn es schlussendlich nach den eigenen Vorstellungen nicht klappt, dann klappt es halt nicht - es gibt immer andere Optionen! Es wäre aber schade, es gar nicht erst zu probieren.
Was hat Dich hierbei am meisten überrascht?
Die Reaktionen. Es gibt immer noch sehr wenig Verständnis für in Vollzeit arbeitende Mütter. Fast jede Person ausserhalb der Kanzlei, mit der ich über dieses Thema gesprochen habe, hat eine Variante der Frage gestellt, ob ich denn dann in Teilzeit weiterarbeiten werde. Wenn ich dann sagte, dass ich weiterhin 100 % arbeiten werde: grosse Überraschung bei dem Gegenüber. Vor allem geärgert hat mich die Frage, wie ich das denn dann mit dem Kind machen werde. Bei der Antwort, dass „wir“ als Eltern das gemeinsam lösen würden, wurde ich dann teilweise beglückwünscht, dass mein Partner mich so unterstütze! Das ist sehr aussagekräftig über die Einstellung unserer Gesellschaft. Wie häufig wird ein Mann in der gleichen Situation dafür beglückwünscht, dass seine Partnerin ihm bei der Kinderbetreuung oder dem Haushalt den Rücken freihält?
Obwohl der Anteil der Frauen bei den Studiumsabsolventinnen gut die Hälfte ausmacht, nimmt ihre Zahl in den Wirtschaftskanzleien dennoch ab, je näher es in Richtung der Partnerschaft geht. Was denkst Du müsste sich ändern, um junge Juristinnen zu halten?
Für mich ist eine Veränderung der Kultur erforderlich: Männer und Frauen sollen wirklich gleich behandelt werden. Dafür braucht es vor allem auf gesetzlicher Ebene eine Veränderung in Richtung eines Vaterschaftsurlaubs von mehr als einem Tag. In Schweden ist das zum Beispiel mittlerweile üblich, dass auch Männer bei anstehendem Nachwuchs gefragt werden, wie lange sie denn zu Hause bleiben werden.
Aber eine solche neue Regelung müsste auch gelebt werden, ansonsten hat man wieder einen Widerspruch: Wenn Elternurlaub und Teilzeit in der Realität nur für Mütter möglich ist, ändert sich nichts. Ich habe das Gefühl, dass es langfristig gesehen schädlicher ist, flexible Arbeitsbedingungen nur Frauen anzubieten, als überhaupt nicht.
Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?
Es sind so viele! Melissa Magliana (Partnerin bei LALIVE in Zürich) und Anna Masser (Partnerin bei Jones Day in Frankfurt) haben bereits Profile auf breaking.through. Ich möchte auch Marie Berard (Partnerin bei Clifford Chance in London) und Claire Morel de Westgaver (Senior Associate bei Bryan Cave Leighton Paisner in London) nominieren. Sie haben einfach ihre eigene Art und sind für mich das perfekte Beispiel, dass man sich nicht einem Klischee oder Muster anpassen muss, um als Wirtschaftsanwältin erfolgreich zu werden.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Zürich, 8. April 2019. Das Interview führte Charlotte Rosenkranz.
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