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Dr. Irène-Suter-Sieber

Dr. Irène Suter-Sieber im Porträt

"Es braucht viel Durchhaltevermögen auf dem Weg in die Partnerschaft."

Dr. iur. Irène Suter-Sieber, Partnerin Walder Wyss AG, Fachanwältin SAV Arbeitsrecht, über Diversität und Karrieremodelle in Wirtschaftskanzleien, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Freude an der Arbeit als Rechtsanwältin. 

Liebe Irène, du bist Partnerin im Arbeitsrecht und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Wirtschaftskanzlei Walder Wyss AG. Wie kann man sich deine Arbeit in der Geschäftsführung vorstellen?

Einmal pro Woche treffen wir uns als Geschäftsleitung für eine zwei- bis dreistündige Sitzung, in welcher wir sämtliche Themen besprechen, über welche die Gesamtgeschäftsleitung entscheiden muss oder zu informieren ist. Ein grosser Teil der Arbeit betrifft sodann die Vorbereitung und Co-Leitung der Business Group Head Meetings (Leiterinnen und Leiter der Teams und Standorte) und der Partners’ Meetings (alle Partnerinnen und Partner). Die Ressorts Finance, IT, Facilities, Human Resources und Marketing sind auf die einzelnen Geschäftsleitungsmitglieder aufgeteilt, welche auch das diesbezügliche Tagesgeschäft leiten. Ich bin verantwortlich für Human Resources, Hiring und Reception/Housekeeping Zürich. 

Als Verantwortliche für das Ressort «Human Resources» nimmst du auch Bewerbungen entgegen. Worauf achtest du in Bewerbungen? 

Es ist kein Geheimnis, dass überdurchschnittlich gute Noten entscheidend sind. Wir erwarten, dass die Personen, die bei uns arbeiten möchten, zu den besten Uni-Abgängerinnen und Abgängern gehören. Massgeblich ist aber auch, was eine Person neben dem Studium gemacht hat. Was mich beeindruckt, sind Kandidatinnen und Kandidaten, die sich ihr Studium mit Nebenjobs finanziert haben. Auch Freiwilligen- oder Familienarbeit, zeitintensive Moot Courts, sportliche Sonderleistungen, Start-up Gründungen und dergleichen fallen positiv ins Gewicht. 

Beim Bewerbungsgespräch geht es darum, die Kandidatin oder den Kandidaten als Person kennenzulernen. Die typischen Bewerbungsfragen stellen wir nicht, z.B. nach drei Stärken und Schwächen. Vielmehr interessiert uns, wie er oder sie in das Walder Wyss Gefüge passt und ob wir auch längerfristig Potenzial sehen. 

 

Aufgrund des demografischen Wandels wird es perspektivisch für Unternehmen schwieriger, qualifizierte Arbeitnehmende zu finden. Was braucht es, um die Arbeit in einer Wirtschaftskanzlei attraktiver zu machen?

 

Den Wandel spüren wir natürlich auch. Trotzdem dürfen wir uns glücklich schätzen, dass sich immer wieder sehr gute Kandidatinnen und Kandidaten bei uns bewerben. Auch viele Substitutinnen und Substituten kehren zurück. Wichtig ist Transparenz: Die Arbeit in einer führenden Wirtschaftskanzlei erfordert überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft, Motivation und Freude an der Anwaltstätigkeit. Im Gegenzug bieten wir Mitarbeit an der Front auf interessanten Mandaten, einen abwechslungsreichen Alltag, viele fringe benefits wie den wöchentlichen Grill- oder Pasta-Lunch, TGIFs (Anm. der Red.: Gemeint sind After-work-Apéros. Die Abkürzung „TGIF“ steht für „Thank God it’s Friday“) und regelmässige Weiterbildungs- und Teambuilding-Events, work from home und flache Hierarchien.

Worauf möchtest du in deinem Ressort konkret einen Fokus legen? Hast du dir bestimmte Ziele gesetzt?

Drei Themen:
 

  1. Diversität in allen Facetten und auf allen Ebenen sind zentral für unseren Erfolg. Das ist mir ein Herzensanliegen.
     

  2. Wichtig sind mir Transparenz (z.B. eine gesunde Feedback-Kultur und klare Kommunikation bezüglich Karrieremodellen) sowie der Grundsatz, dass Leistung honoriert werden soll.
     

  3. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie (oder Hobbies, Pflege von Angehörigen etc.) muss gewährleistet sein. Die meisten Partnerinnen und Partner unserer Kanzlei haben Familie und/oder betreiben zeitintensive sportliche oder sonstige Freizeitaktivitäten. Wir ermöglichen und leben flexible Arbeitsmodelle auf allen Stufen. Wir sind überzeugt, dass der ausschliessliche Fokus auf die Arbeit langfristig ungesund ist.

Woran liegt es aus deiner Sicht, dass es in Wirtschaftskanzleien weniger Frauen als Männer auf Partnerstufe gibt, während auf Associate-Stufe Frauen und Männer etwa gleich vertreten sind?

Wir haben mehr junge weibliche Associates als männliche. Wir haben mehr weibliche Senior Associates als männliche. Die Zahl der weiblichen Managing Associates ist in den letzten Jahren rasant angestiegen. Der Trend ist lediglich auf Partnerstufe noch nicht angekommen, aber ich bin überzeugt, dass dies nur eine Frage der Zeit ist. Wichtig ist, dass wir jungen Frauen wie auch Männern attraktive Arbeitsmodelle anbieten und all unseren Talenten signalisieren, dass wir ihnen die Zeit geben, die sie in der Rush Hour of Life benötigen.

 

Welche Voraussetzungen braucht es, um Partner:in in einer Wirtschaftskanzlei zu werden?

Für Frauen und Männer gilt genau dasselbe: Sie müssen von der Persönlichkeit her gut in unsere Partnerschaft passen und integer sein, sie müssen brillante Anwältinnen und Anwälte sein und ausgezeichneten Geschäftssinn zeigen.

Welche Rolle spielt Mentoring auf dem Karriereweg aus deiner Sicht? Was zeichnet gutes Mentoring aus?

Gutes Mentoring ist extrem wertvoll, sowohl innerhalb der Teams wie auch durch externe Mentorinnen und Mentoren. Wir sind Mitglied bei «Advance – Gender Equality in Business». Ein Teil dieses Förderungspakets bildet ein Mentorship Programm, das wir ausgewählten jungen Talenten anbieten können und bei welchem wir selbst zwei Mentorinnen oder Mentoren stellen. Gutes Mentoring zeichnet sich aus durch eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Mentee und Mentorin oder Mentor, wobei wir den Fokus auf die Stärken des/der Mentee legen. 

Welchen Ratschlag würdest du an dein jüngeres Ich geben oder Associates, die anstreben, Partner:in in einer Wirtschaftskanzlei zu werden? 

Wichtig für junge Talente ist es, nicht in den Arbeitnehmermodus zu schalten, sondern schon als junger Anwalt oder junge Anwältin zu zeigen, dass das Interesse des Klienten im Vordergrund steht und dass die Begeisterung für die Arbeit als Anwalt oder Anwältin spürbar ist.

Es braucht ausserdem viel Durchhaltevermögen auf dem Weg in die Partnerschaft und Rückschläge gehören dazu. Häufig fällt diese Zeit zusammen mit dem Zeitraum, in welcher der/die Associate eine junge Familie aufbaut. Das kann die Welt aus den Fugen bringen und einen an den eigenen Ambitionen und Fähigkeiten zweifeln lassen, was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann: «Will ich das? Kann ich das?». Viele junge Frauen – aber auch vermehrt junge Männer – ziehen sich dann zurück und verlassen die Wirtschaftskanzlei, was befreiend sein kann, sie aber unter Umständen später auch bereuen. Es gab in meinem Leben keine anstrengendere und belastendere Zeit als jene der Schwangerschaften und der Kleinkinderphase. Energie und Ambitionen sind aber zurückgekehrt und ich bin dankbar, dass ich drangeblieben bin. Meine Arbeit gibt mir sehr viel Freude und Befriedigung.

Die Zeit nach den ersten Berufsjahren, in der die ersten Karrierestufen erklommen werden müssen, fällt oft mit der Familiengründung zusammen. Welche Strategie hast du entwickelt, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen?

Wir haben in sechs Jahren vier Kinder bekommen. In dieser Zeit waren mein Mann und ich (wir sind beide berufstätig geblieben) in konstanter Überlastung und im Dauerschlafmangel. Wir haben darauf geachtet, uns gegenseitig immer wieder freie Zeit zu geben. Wenn ich die Zeit nochmals zurückdrehen könnte, würde ich mir mehr externe Hilfe holen. Lange habe ich gekämpft mit den in unserer Gesellschaft noch zu tief verankerten Vorurteilen: Die teilzeitarbeitende Rabenmutter hier – der teilzeitarbeitende Superhero Daddy da. Heute stehe ich selbstbewusst zu unserem umgekehrten Rollenmodell, in welchem ich Vollzeit und mein Mann Teilzeit arbeitet und er mehr Familienarbeit übernimmt. Aber ich will ehrlich sein: Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, schaffe ich eigentlich nicht. Ich kann nur deshalb meinen jetzigen Job machen, weil mein Mann mir sehr oft den Rücken freihält. 

 

Immer mehr Eltern arbeiten Teilzeit, da Hausarbeit und Kinderbetreuung gerechter zwischen den Geschlechtern aufgeteilt werden. Ist Teilzeit ein Karrierekiller? Was muss getan werden, um dies zu verhindern?
Teilzeit ist notwendig, um Spitzenbelastungen im Familienalltag abzufedern. Es trifft aber auch zu, dass Teilzeit zur Falle werden kann. Entsprechend bin ich nicht überzeugt vom Gedanken, dass Teilzeit das Problem der Vereinbarkeit von Familie mit Karriereambitionen behebt. Vieles lässt sich auch mit Flexibilität erreichen. Wichtig ist, dass Männer genau gleich wie Frauen Teilzeit beanspruchen dürfen. Das schafft ausgeglichene Voraussetzungen zwischen den Geschlechtern. Und es liegt ganz massgeblich in unserer Verantwortung als Arbeitgeber, die aussichtsreichen Talente, die (wohl nur für eine Phase ihres Lebens) Teilzeit arbeiten, mit der gleichen Verantwortung und den gleich interessanten und wichtigen Projekten zu betrauen.
Wie geht man mit Rückschlägen um?
Die grossen Rückschläge in meinem Leben waren für meine persönliche wie auch berufliche Entwicklung genau gleich wichtig, wenn nicht sogar wichtiger als die grossen Erfolge. Sie lassen mich bescheiden bleiben und bewirken, dass sich kein Sättigungsgefühl einstellt. Also: Krönchen richten und weiter.

Wie wichtig ist die Begeisterung für das eigene Rechtsgebiet?

 

In meiner Gerichtspraktikumszeit stand einmal eine Mutter mit ihren drei Kindern in meinem Büro, um mündlich ein Eheschutzbegehren aufzugeben. Ihr Ehemann hatte sie mit ihrer Trauzeugin betrogen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war für mich klar: Fürs Familienrecht bin ich nicht geeignet.
Auf den grossen Wirtschaftskanzleien ist es notwendig sich zu spezialisieren. Die Zeit der Allgemeingelehrten ist vorbei. Studentinnen und Studenten rate ich, sich verschiedene Disziplinen anzuschauen: Macht Praktika auf Kanzleien, an Gerichten und bei Staatsanwaltschaften. So spürt ihr schnell, welche Rechtsgebiete euch gut oder weniger liegen.

 

Was begeistert dich am Arbeitsrecht?

 

Da wir vornehmlich Arbeitgeber beraten, ist unsere Praxis enorm breit. Diese Vielfalt – vom einfachen Arbeitsvertrag, über die grossangelegte Reorganisation, komplexe regulatorische Vergütungsfragen, interne Untersuchungen, das Migrations-, Sozialversicherungs- und Datenschutzrecht, bis hin zum öffentlichen oder zivilen Verfahrensrecht – begeistert mich und macht jeden Tag aufs Neue spannend. Ganz besonders liebe ich den Zivilprozess, in welchem das Taktieren genauso wichtig ist wie das Storytelling.

Durch deinen Lebenslauf zieht sich ausserdem die Musik wie ein roter Faden. Neben Jura hast du Klavier an der Hochschule Musik und Theater Zürich studiert. Wie wichtig ist ein Ausgleich zur juristischen Tätigkeit?

 

Die Musik hat mich seit frühester Kindheit begleitet, wofür ich meinen Eltern sehr dankbar bin. Durch glückliche Fügung – die beiden Hochschulen lagen direkt nebeneinander und die Stundenpläne liessen es zu – konnte ich parallel Jura und Klavier studieren. In meiner Doktorarbeit («die Hörmarke») habe ich versucht, die beiden Themen zu verbinden. Momentan ist es ruhiger geworden in meiner Musikwelt. Ich lasse mich durch neue Entdeckungen auf Spotify begeistern, musiziere mit den Kindern und ab und zu für mich.

Welche Juristin hat dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden soll?

 

Carla Del Ponte – Juristin, Diplomatin, Bundesanwältin, Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes, Mitglied des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte. Ihr Mut und die Bedingungslosigkeit, mit welcher sie sich für ihre Sache eingesetzt hat, sind inspirierend.

Simonetta Sommaruga – sie war von 2010 bis Ende 2022 im Bundesrat. Sie ist Pianistin und Politikerin. Wohl hat sie kein Jura studiert, aber während acht Jahren hat sie mit beeindruckender Umsicht und grosser Kompetenz das eidgenössische Justizdepartement geleitet und die Schweizer Geschichte der Gleichberechtigung geprägt. Ihre Geschichte, ihre Persönlichkeit, ihre Demut und Schlagfertigkeit finde ich beeindruckend.

Vielen Dank für das spannende Interview! 

Zürich, 16. April 2023. Das Interview wurde geführt von Lena Götzinger.

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