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Lea Hungerbühler

Lea Hungerbühler im Porträt

"Eines Tages kann sich das Blatt wenden – Kritiker*innen werden zu wichtigen Unterstützer*innen."

Lea Hungerbühler, LL.M., Gründungspartnerin von Leximpact, Gründerin von Asylex, über den Schritt in die Selbständigkeit, der Doppelrolle als Richterin und Anwältin und den Umgang mit Kritikern.

Liebe Lea, du bist selbständige Anwältin mit Schwerpunkt auf grenzüberschreitenden Finanzgeschäften und FinTech. Was fasziniert dich an der rechtlichen Beratung im Bereich Finanzwesen?

Finanzdienstleistungen sind das zentrale Element unserer Wirtschaft und sind konstantem Wandel unterworfen. Die Innovation im Finanzsektor ist aus juristischer Perspektive besonders herausfordernd: Wenn bestehende Finanzmarktgesetze auf neue Produkte oder Dienstleistungen angewendet werden, so ist man als Rechtsberater*in gefordert, immer wieder neue Perspektiven einzunehmen und passende Lösungen zu finden. Die Finanzwelt kombiniert ökonomische, juristische, politische und soziale Fragestellungen – welche zudem weit über die Schweizer Grenze hinaus gehen. Dieses spannende Zusammenspiel weckte schon im Studium mein Interesse und fasziniert mich noch heute.

Nach deiner Substitutenzeit hast du zunächst als Juristin das Staatsekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) von innen kennen gelernt. Was ist dran am sich hartnäckig haltenden Vorurteil, öffentlicher Dienst und Leistungsbereitschaft schliesse sich aus?

Dieses Vorurteil kann ich überhaupt nicht bestätigen. Ich habe beim SIF viele äusserst talentierte, engagierte und motivierte Menschen kennen gelernt. Umgekehrt frage ich mich aber gerade bei Kanzleien oft, was denn als Leistungsbereitschaft qualifiziert wird – meiner Meinung nach ist das fälschlicherweise oft schlicht und einfach die Bereitschaft, bis spätnachts im Büro zu sitzen. Ob dies eine sinnvolle Messgrösse ist, wage ich zu bezweifeln.

Inwiefern halfen dir deine Erfahrungen aus deiner Zeit beim SIF bei deiner anwaltlichen Tätigkeit, als du wieder als angestellte Anwältin gearbeitet hattest?

Beim SIF hatte ich die Gelegenheit, mein Netzwerk auszubauen und über die Schweizer Grenze hinaus Kontakte im Finanzbereich zu knüpfen. Ich lernte überdies viel über das EU-Finanzmarktrecht und über die Möglichkeiten und Grenzen der grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungen von der Schweiz aus in die EU. Schliesslich habe ich die Entstehung verschiedener Finanzmarktgesetze hautnah miterlebt, und damit auch den parlamentarischen Betrieb und die Abläufe in der Bundesverwaltung kennen gelernt. All dies hilft mir heute, Kund*innen im In- und Ausland eine kompetente und umfassende Beratung zu finanzmarktrechtlichen Themen zu bieten.

Seit April 2014 bist du ausserdem Richterin am Strafgericht Basel-Landschaft, seit 2018 dort Vizepräsidentin. Wie bist du zur Richtertätigkeit gekommen?

 

Ich hatte das Glück, als junge Juristin für diese spannende Position angefragt zu werden. Ich war immer offen für neue Herausforderungen und habe mich den Parteien-Hearings gestellt – wo ich teilweise als junge Frau doch etwas Gegenwind erfuhr. Der Alltag am Strafgericht zeigt aber, dass eine gute Durchmischung der Richterschaft – sei es nach Geschlecht, Alter oder Partei – sehr bereichernd ist und zur guten Qualität der Strafentscheide beiträgt

Während du als Anwältin die Interessen deiner Mandanten vertrittst, ist es als Richterin deine Aufgabe, unabhängig zu entscheiden. Wie gehst du mit diesem Gegensatz um?

Ich würde dies als unterschiedliche Perspektiven und nicht als Gegensatz bezeichnen. Gerade dieser Perspektivenwechsel ermöglicht es mir, als Richterin die Situation der beschuldigten Person und der Verteidigung besser zu verstehen, aber auch als Anwältin ein besseres Verständnis davon zu haben, welche Überlegungen die Richterschaft in meinem Fall wohl machen könnte. Ich habe diese unterschiedlichen Rollen bzw. die Kombination derselben bisher stets als sehr lehrreich wahrgenommen.

Im Jahr 2019 hast du dich als Rechtsanwältin selbständig gemacht. Was hat dich zum Schritt in die Selbständigkeit bewogen?

Ich mag es, selbst Verantwortung zu übernehmen, Projekte planen und realisieren zu können und vor allem meine persönliche Freiheit und Flexibilität ist mir enorm wichtig. Bei meinen Anstellungen in Kanzleien und beim SIF durfte ich viel vom Wissen von Vorgesetzten und Teamkolleg*innen profitieren; gleichzeitig fehlte mir das unternehmerische Element im Anstellungsverhältnis. Gerade mein LL.M. an der Harvard Law School brachte mir den amerikanischen «Entrepreneurship Spirit» näher und motivierte mich, die Herausforderung der Selbständigkeit zu wagen.

 

Was waren die grössten Herausforderungen auf dem Weg zur Kanzleigründung?

Die grösste Herausforderung war eigentlich das, was sich alle immer wünschen: Keine*n Chef*in zu haben. Wenn die IT nicht funktioniert, wenn das Geld nicht reinkommt, wenn ein Mandant unerträglich ist – dafür bin ich jetzt selbst verantwortlich und kann die Schuld keine*m Chef*in zuschieben.

Wie unterscheidet sich dein Alltag als selbständige Anwältin von deiner vorherigen Tätigkeit als angestellte Anwältin? Was macht dir als Selbständige am meisten Freude?

Mein Arbeitsleben hat sich um 180 Grad verändert. Ich kann selber bestimmen, wann und wo ich arbeite oder welche Klient*innen ich annehme. Gleichzeitig muss ich nun selbst auf Mandatsakquise gehen und Ende Monat sicherstellen, dass die Rechnungen bezahlt sind. Wenn ich die Antwort auf eine Klientenanfrage nicht weiss, habe ich keine*n Chef*in, den oder die ich um Rat fragen kann. Gesamthaft arbeite ich bestimmt mehr als zuvor, aber ich bin motivierter hierzu, weil ich genau weiss, wofür ich arbeite und hinter all meiner Arbeit einen Sinn sehen kann. Dieses selbstbestimmte Arbeiten macht für mich den grossen Unterschied aus und führt dazu, dass mir meine Arbeit jeden Tag Freude bereitet. Ich weiss, das sagt man so rasch, aber ich empfinde es wirklich so.

Als selbständige Anwältin ohne festes Gehalt ist die Akquise von Klienten ein wichtiger Faktor. Wie machst du auf dich aufmerksam?

Das ist tatsächlich nicht ganz einfach; gerade als eher junge selbständige Anwältin. Meines Erachtens ist die Weiterempfehlung das wichtigste Mittel für die Klient*innenakquise. Das bedeutet, dass ich sicherstellen muss, dass meine Klientschaft mit meiner Arbeit so zufrieden ist, dass sie mich anderen weiterempfiehlt. Die Zufriedenheit misst sich nicht nur anhand gewonnener Fälle oder erhaltener FINMA-Lizenzen, sondern vielmehr auch an Aspekten wie der Klient*innenkommunikation, einem fairen Expectation Management oder der Kostentransparenz. Daneben helfen bestimmt auch Publikationen, Lehraufträge, das Halten von Vorträgen, Konferenzteilnahmen, der Internetauftritt sowie Social Media bei der Akquise – nach meiner Einschätzung ist aber die Weiterempfehlung das wichtigste Element.

 

Welche Tipps hast du für Juristinnen und Juristen, die darüber nachdenken, sich selbständig zu machen?

Diese Frage müsste man vermutlich einer Person mit mehr Erfahrung als Selbständige*r stellen – im Allgemeinen sind bestimmt Unternehmergeist, ein grosses Netzwerk, gute und verlässliche Sparring-Partner (z.B. Kanzleipartner*innen oder andere Anwält*innen, welche man für gemeinsame Mandate anfragen kann), Durchhaltevermögen, gute Planung und Organisation sowie eine klare Vision wichtig.

Im Jahr 2017 hast du die Rechtsberatung “AsyLex” gegründet, die Geflüchtete zum Schweizer Asylrecht berät. Gab es ein Schlüsselerlebnis, das dich zur Gründung veranlasst hat?

Ja – das war auf einem Roadtrip durch Australien. Mit meiner guten Freundin war ich am Schnorcheln in einem Naturschutzgebiet, fernab der Zivilisation. Wir hörten, wie ein Mann um Hilfe rief und eine bewusstlose Frau aus dem Wasser trug. Meine Kollegin ist Ärztin. Sie begann umgehend mit Herzmassage und Beatmung. Über 45 Minuten kämpfte sie bei grösster Hitze unerlässlich dafür, das Leben in diesen leblosen Körper zurückkehren möge. Und was machte ich in dieser Zeit? Ich mit meiner grossartigen Ausbildung als Anwältin? Nichts. Ich konnte nur tatenlos zuschauen. In dem Moment fragte ich mich, ob das, was ich mache, wirklich alles ist, was man mit meiner Ausbildung anfangen kann. Ich kündigte meinen Job und arbeitete als Freiwillige einen Sommer lang auf der griechischen Insel Samos in einem Flüchtlingslager. Die Arbeit war schwierig, aber gleichzeitig sehr erfüllend für mich. Als Schweizer Anwältin ohne Griechischkenntnisse waren meine Möglichkeiten dort allerdings beschränkt, sodass ich mich entschied, ein ähnliches Projekt in der Schweiz aufzubauen, wo ich meine Ausbildung und mein Wissen vollumfänglich einsetzen kann – und so ist AsyLex entstanden.

Was ist das Besondere an AsyLex im Vergleich zu anderen bestehenden Akteuren im Bereich der Flüchtlingshilfe?

AsyLex ist eine online Rechtsberatung – Klient*innen kontaktieren uns über E-Mail und Social Media. Anfänglich wurde das von verschiedenster Seite kritisiert. Spätestens aber seit uns verschiedene Organisationen im Covid-Lockdown um Rat fragten, wie man eine Remote-Beratungsstruktur aufbauen kann, hat sich diese Kritik gelegt. Zudem hat AsyLex ein Team, das aus rund 150 Freiwilligen besteht und über die ganze Schweiz (sowie auch Italien, Griechenland und Libanon) verteilt ist. Leider wird Freiwilligenarbeit oft mit minderer Qualität in Verbindung gebracht – wir wollen das Gegenteil beweisen. Das gelingt uns auch dank regelmässigen Weiterbildungen, Mentoring und dem Einsatz von LegalTech: Mittlerweile durften wir bereits zwölf Erfolge vor Bundesgericht verbuchen – bei zwei Abweisungen –  und auch auf internationaler Ebene, namentlich vor den UNO Ausschüssen, erhielten wir 13 Mal sogenannte Interim Measures, während erst einer unserer Anträge abgelehnt wurde. Unser Erfolg misst sich allerdings nicht (nur) an der Erfolgsquote, sondern vielmehr daran, dass wir schutzbedürftigen Menschen in schwierigen Lebenssituationen eine effektive Stütze sein können, was für bisher rund 4'000 Menschen der Fall war.

 

Bei AsyLex sind sechs Personen festangestellt. Ausserdem habt ihr von Beginn auf ein digitales Konzept gesetzt, etwa bietet ihr kostenlose Rechtsberatung über instant messenger an. Wie wichtig ist aus deiner Sicht die Struktur eines Projektes für seinen Erfolg?

Eine gute Struktur ist die Basis; noch viel wichtiger sind aber die Menschen, welche die Struktur tragen und weiterentwickeln. Bei AsyLex entsteht etwa im Jahresrhythmus ein neues Team, weil sich die Nachfrage verändert und neue Lücken im System hinsichtlich «Access to Justice» entdeckt werden, die wir zu schliessen versuchen. Diese Balance zwischen einer stabilen, verlässlichen Struktur auf der einen Seite und Flexibilität, Offenheit für Neues und Kreativität auf der anderen Seite ist zentral für ein erfolgreiches Projekt oder Unternehmen.

Einige Personen haben dir von der Umsetzung des AsyLex-Projektes abgeraten. Was würdest du anderen raten, die ebenfalls eine Vision haben?

 

Ja, die Kritik war vor allem am Anfang und von traditionellen Playern sehr laut. Anstatt dass ich mich dadurch demotivieren liess, hat es mich angespornt, noch bessere Arbeit zu leisten und meine Vision mit noch mehr Elan zu verfolgen. Dabei konnte ich glücklicherweise auf die Unterstützung eines Beirats mit sehr erfahrenen Spezialist*innen zählen – auch das war sehr hilfreich. Nach einigen Jahren und mit zunehmendem Erfolg unseres Projekts kamen die Kritiker*innen wieder auf AsyLex zu und baten uns um eine Zusammenarbeit oder Unterstützung in komplexen Fällen. Das zeigte mir, dass man sich durch Rückweisungen und frustrierende Erlebnisse nicht entmutigen lassen darf. Vielmehr sollte man diese als Ansporn sehen, um die Vision entgegen allen Widrigkeiten weiter zu verfolgen. Eines Tages kann sich das Blatt wenden und deine einstigen Kritiker*innen werden zu wichtigen Unterstützer*innen.

 

Welche Juristin hat dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden soll?

Im Bereich der Menschenrechte ist Alexandra Dufresne mein grosses Vorbild. Sie setzt sich in den USA und in der Schweiz für geflüchtete Menschen ein, insbesondere für Kinder, hat Einsitz in diversen Expert*innengremien und unterrichtete u.a. in Yale. Ihr Tatendrang und ihre Visionen sind unglaublich ansteckend.
 

Ebenso inspirierend für mich ist Vera Nägeli, (angehende) Partnerin bei Bär & Karrer. Als Wirtschaftsanwältin vereint sie Können & Talent, Gespür fürs Business und Sozialkompetenz auf einmalige Art und Weise. Ihre unterstützende, motivierende und gleichzeitig besonnene Art macht sie zu einem grossen Vorbild für mich – und bestimmt auch für unzählige andere Jurist*innen!

Vielen Dank für das Interview und die Zeit, die du dir dafür genommen hast!

 
Zürich, 27. October 2021. Lea Hungerbühler beantwortete die Fragen schriftlich. Die Fragen stellte Florence J. Jaeger.

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