Simone Stebler, LL.M., im Porträt
"Es braucht in Zukunft eine stärkere Anerkennung weiblicher Führungsqualitäten."
Simone Stebler, LL.M., Beraterin bei Egon Zehnder in Zürich, über ihren Karrierewechsel zur Personalberatung und gewachsenen Anforderungen an Unternehmen und Kanzleien in Rekrutierung und Förderung aufstrebender Juristinnen und Juristen sowie grösserer Diversität in Führungspositionen.
Simone, Du bist nach Deiner Zeit als Anwältin bei der Kanzlei Bär & Karrer in die Beratungsbranche gewechselt. Was hat Dich zu diesem Schritt motiviert?
Ich war sehr gerne Anwältin. Nach meiner Arbeit im Bereich Prozessführung wollte ich den Wechsel in ein Berufsfeld machen, in dem ich die Menschen zusammenführen kann, anstatt sie immer nur in Konfliktsituationen zu begleiten.
Ausserdem ist das Thema „Diversity & Inclusion“ eine Leidenschaft für mich. Und ich hatte den Eindruck, dass ich in dem Bereich „Leadership Advisory“ einen grösseren Einfluss darauf haben kann als als Anwältin – und dadurch meine Leidenschaft mit dem Beruf in Einklang bringen konnte. Es bedarf Reflektion für einen selbst, das eigene Ziel bzw. den Zweck der eigenen Tätigkeit, der einem wichtig ist, ausfindig zu machen. Dafür war die Zeit als Anwältin sicher hilfreich.
In welchem Bereich bzw. welcher Branche berätst Du Unternehmen?
Ich berate Unternehmen bei der Suche, Beurteilung und Entwicklung von Talenten im Bereich „Legal und Compliance Professionals“ sowie allgemein in der Finanzbranche auf Verwaltungsrats- sowie Geschäftsleitungsebene. Ausserdem berate ich Unternehmen im Bereich Diversity und Inclusion. Das kann beispielsweise die Suche nach weiblichen Verwaltungsrätinnen und Geschäftsleitungsmitgliedern sein (z.B. General Counsel) oder die gezielte Entwicklung und Förderung von weiblichen Talenten.
Was würdest Du jungen Juristinnen und Juristen empfehlen, die ebenfalls diesen Karriereweg von Talentsuche und -entwicklung einschlagen wollen?
Es gibt verschiedene Wege, die einem eine Karriere im Bereich Executive Search oder Talent Advisory eröffnen. Wir bei Egon Zehnder vollziehen alle einen kompletten Karrierewechsel. Wir haben keine Berater, die vorher bereits im Recruiting gearbeitet haben, sondern wir sind alle gewissermassen "Quereinsteiger". Dadurch ist es uns möglich, die Sprache und Bedürfnisse unserer Klienten zu verstehen bzw. zu sprechen.
Ich würde jungen Juristinnen, die sich für eine Karriere in diesem Bereich interessieren, empfehlen, entweder in Kontakt zu treten mit Personen, die sie als Rollenvorbilder wahrnehmen in der Executive Search/Talent Advisory Branche, oder sich innerhalb eines Unternehmens mit dem Human Ressources-Department in Kontakt zu setzen.
Es ist generell wichtig, sich neben dem internen Netzwerk in der Kanzlei ein externes Netzwerk aufzubauen. Wenn man langfristig den Weg als Partnerin in einer Kanzlei einschlagen möchte, braucht es den Willen und die Lust, sich extern zu vernetzen und Mandate zu akquirieren. Dieser unternehmerische Aspekt muss einem Freude machen und ist auch für meine heutige Tätigkeit sehr wichtig.
In Deiner Tätigkeit als Beraterin hast Du mit den verschiedensten Menschen zu tun. Welche Erfahrungen – positiv wie negativ – waren dabei für Dich einprägsam?
Derzeit sehe ich den Willen bei Unternehmen in der Schweiz, Fortschritte machen zu wollen im Bereich Gender Diversity. Das stimmt mich sehr positiv. Wir haben viele Aufträge mit dem Ziel, weibliche Führungskräfte zu rekrutieren oder zu fördern.
Auf der anderen Seite gibt es leider auch immer wieder negative Erfahrungen. Überraschend war für mich, wie stark unbewusste Vorurteile gegenüber weiblichen Führungskräften nach wie vor in einzelnen Köpfen verankert sind ‒ so z.B. die unreflektierte Annahme, dass nach der Geburt eines Kindes die Erziehungsarbeit zur Hauptsache bei der Frau liegen wird.
Welchen Rat hättest Du Deinem jüngeren Ich in Bezug auf die Erwartungen an den Beruf als Anwältin bzw. Beraterin gegeben?
Die Erwartungen, die man an einen Beruf hat, stimmen wohl meist nicht ganz mit der Realität überein. Ich glaube es ist daher sehr wichtig, dass man sich nach und noch besser vor dem Studium mit Vorbildern trifft und bespricht, was es heisst, tagtäglich diesen Beruf auszuüben. Man sollte sich ernsthaft überlegen, wo sind die wesentlichen Stärken und Leidenschaften, die ein Beruf anspricht bzw. erfordert und stimmen diese mit der eigenen Identität und Wunschvorstellung über sich überein. Deshalb finde ich auch breaking.through so gut, da hierdurch genau das ermöglicht werden kann.
Ich hatte wohl diese klassische Vorstellung vom Anwaltsberuf und habe aus Idealismus Jus studiert, um dann für Greenpeace oder andere NGOs zu arbeiten. Der finanzielle Aspekt war für mich am Ende dann aber sicher nicht ganz unwesentlich, einen anderen Berufsweg einzuschlagen: Für mich ist finanzielle Unabhängigkeit ein essentieller Bestandteil, sich tagtäglich in einem Berufsfeld mit starken Charakteren behaupten zu können. Diese Unabhängigkeit ist ein unglaublicher Luxus und die Freiheit, sich immer frei entscheiden zu können.
Die Wirtschaftskanzleien suchen zunehmend nach jungen Juristen und Juristinnen, jedoch ist auch die Fluktuation in den ersten Berufsjahren hoch. Haben die Kanzleien hier Nachholbedarf, was die Rekrutierung und Förderung von Berufsanfängern und -anfängerinnen angeht?
Bei der Rekrutierung und vor allem bei der Förderung besteht durchaus Optimierungspotential. Aus meiner Sicht gibt es viele „low hanging fruits“, welche sich Kanzleien zu Nutzen machen können. Schon nur die Führung von strukturierten und kompetenzbasierten Interviews würde eine langfristig erfolgreiche Rekrutierung erheblich begünstigen. Auch das regelmässige Führen von umfassenden Qualifikationsgesprächen sowie entwicklungsorientiertes Feedback (z.B. nach dem "SIG Feedback Model") beschleunigt die Entwicklung junger Talente nachweislich. Nehmen Kanzleien das Talent Management ernst, so profitieren sie gleich auf verschiedenen Ebenen – nebst Steigerung der Arbeitsqualität und Produktivität der jungen Talente, sichern sich die Kanzleien so Loyalität und Motivation der Mitarbeitenden und gute Reputation als Arbeitgeber. Auch transparente Kommunikation wird immer wichtiger: Die jungen Talente wollen und sollen wissen, welche Kompetenzen sie schärfen müssen und welche Anforderungen es auf dem Weg zur Partnerschaft und darüber hinaus zu erfüllen gilt. Die Entwicklung der sogenannten „Soft Skills“ ist schliesslich ein weiterer Bereich, wo Kanzleien Punkten und ihre jungen Talente zu künftigen "trusted advisors" entwickeln können.
Sind Dir bei dem Wechsel von der anwaltlichen Tätigkeit in die Beratung Unterschiede aufgefallen, wie Frauen gesehen werden?
An sich habe ich keine grossen Unterschiede gesehen. Es hat mich einfach überrascht, dass die Themen, mit denen Frauen zu kämpfen haben branchen- und senioritätslevelübergreifend überall dieselben sind.
Bei den Kanzleien gab es Schritte in die Richtung der Förderung von mehr Diversität; der Wille ist vorhanden. Es gibt z.B. bei einigen Kanzleien die Möglichkeit unabhängig vom Geschlecht Associate/Partner mit reduziertem Pensum zu sein – sicher ein Schritt in die richtige Richtung.
Sind Dir im Laufe Deiner Berufstätigkeit Vorurteile gegenüber Dir als Frau begegnet? Wenn ja, wie bist Du damit umgegangen?
Vor allem als ich als junge Anwältin tätig war, wurde ich immer wieder mal für die Assistentin oder Substitutin gehalten, wenn ich mit männlichen Kollegen unterwegs war. Das nervt einen schon, aber in meiner Erfahrung ist es am besten, es anzusprechen und mit Humor darauf zu antworten. Aber man muss es adressieren.
Welchen Einfluss hat dabei in Deiner Erfahrung die Unternehmenskultur auf den Anteil weiblicher Führungskräfte?
Sehr viel. Es hängt sehr stark damit zusammen, dass Frauen an vielen Orten in der Minderheit sind. Unternehmenskulturen ändern sich nachhaltig im Sinne von gegenseitigem Verständnis für unterschiedliches Verhalten, wenn sich eine kritische Masse von ca. 30 % bildet, wie dies einzelne Studien belegen. Es gibt Förderprogramme, die letztlich darauf abzielen, weibliches Führungsverhalten an männlichen Eigenschaften anzupassen. Es braucht aber in Zukunft weibliche Führungsqualitäten und damit eine Entwicklung weg von der Überbetonung männlicher Führungseigenschaften. Aus meiner Sicht ist das einer der wesentlichen Gründe, weshalb Unternehmen weibliche Führungskräfte und Talente verlieren.
Teilweise wird zur Begründung der fehlenden weiblichen Führungskräfte angegeben, die Frauen "wollten einfach nicht" und würden nach jahrelanger Förderung einen Rückzieher machen. Wie schätzt Du diese Aussage ein? Scheuen sich Frauen eher davor, Verantwortung und Führungspositionen zu übernehmen?
Ich sehe es in der Tendenz häufiger bei Frauen als bei Männern in der Rekrutierung für Geschäftsleitungspositionen, dass sie einen kleinen Extra Push brauchen, damit sie sich dann auch aktiv für die Position bewerben.
Auch hat sich zu einem gewissen Grad das Vorurteil bestätigt, wonach Frauen sich eher scheuen, ihre Ambitionen intern offen anzusprechen. Männer tun das viel häufiger und haben kein schlechtes Gewissen dabei, sich in dieser Weise zu profilieren. Wenn jemand talentiert ist und dann auch noch die Hand hebt, sind die Chancen hoch, dass diese Person wahrgenommen und für eine Nachfolgeplanung erkannt wird.
Man sollte daher für Sichtbarkeit sorgen und über die eigenen Ambitionen sprechen. Damit nimmt man anderen auch die Möglichkeit, Vermutungen über einen anzustellen (z.B. die oft unbewusst getroffene Annahme, eine Frau werde nach Geburt eines Kindes weniger Ambitionen haben). In unternehmensjuristischen Positionen ist das noch viel wesentlicher als in Kanzleien.
Du berätst Unternehmen vor allem auch im Bereich „Diversity“. Welchen Herausforderungen muss sich die Wirtschaft in Bezug auf dieses Thema in den kommenden Jahren stellen?
(Lacht) Ein buchfüllendes Thema! Es ist erstaunlich, wie schleppend sich Fortschritte zeigen, sowohl auf der Ebene der Verwaltungsräte als auch in der Geschäftsleitung. Im Moment ist der Trend nach langen Jahren der Zuversicht leider wieder etwas rückläufig. Diese Realität steht in diametralem Kontrast dazu, dass Diversität einen positiven Einfluss hat auf die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens, auf die Reputation als Arbeitgeber und auf die wirtschaftlichen Kennzahlen eines Unternehmens. Angesichts des immer intensiveren, global geführten "War for Talents" wird die Wirtschaft einen noch stärkeren Fokus darauf legen müssen, eine inklusive Unternehmenskultur schaffen zu können, in der sich Männer wie Frauen verschiedener Nationalitäten und Hintergründe wohlfühlen und tagtäglich ihr Bestes für das Unternehmen geben wollen und können.
Könnte Deiner Ansicht nach eine Quotenregelung zur Erreichung von grösserer Diversität zielführend sein?
Wenn wir jetzt Europa ansehen, gibt es exzellente Beispiele wo Fortschritte erzielt wurden, sowohl mit als auch ohne Quote. Ein gutes Beispiel für eine Veränderung ohne Quote ist Grossbritannien, ein Bespielland mit Quote ist Frankreich. Letzteres ist in Europa wohl ein „Diversity Champion“. Man sollte im Idealfall keine Quotenregelung einführen müssen, da die Veränderung der (gesellschaftlichen) Wahrnehmung nicht durch Regulierung kommt. Auf der anderen Seite kann eine erzwungene Veränderung gerade dazu führen, dass mit dem veränderten Verhalten sich auch die Denkweise ändert. Die Organisationspsychologie bestätigt das: Durch Definition von Verhaltensweisen, die dem Ziel-Mindset entsprechen, kann man diese Veränderung herbeiführen. So oder anders ‒ den Ausdruck "Quotenfrau" muss man unbedingt angehen! Heute wird ja auch ohne Quote teilweise von Frauen behauptet, sie seien quasi Quotenfrauen, nur weil sie in der Minderheit sind. Qualität ist immer entscheidend und es gibt so viele gut qualifizierte Frauen und weibliche Führungskräfte mit hervorragendem Potential für mehr. Auch wenn man sie wie die Nadel im Heuhaufen suchen muss, es gibt sie!
Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?
Ich habe so viele inspirierende Juristinnen kennenlernen dürfen, die mich auch heute noch motivieren. Ich glaube fest daran, dass Frauen einander auch gegenseitig fördern dürfen und sollten. Eine Frau, die eine hervorragende Anwältin und tolle Person ist und die mich sehr gefördert hat, ist meine erste weibliche Vorgesetzte Claudia Götz Staehelin, heute Partnerin bei Kellerhals Carrard.
Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Du Dir dafür genommen hast!
Zürich, 6. Dezember 2018. Das Interview führte Charlotte Rosenkranz.
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