Tanja Planinic, LL.M. im Porträt
"Junge Juristinnen sollten sich nicht scheuen, Feedback und Mentoring einzufordern."
Tanja Planinic, LL.M., Partnerin bei Pestalozzi Rechtsanwälte, über ihre Erfahrungen beim Claims Resolution Tribunal for Dormant Accounts, als Partnerin einer Anwaltskanzlei und Schiedsrichterin, sowie ihre Tätigkeit als Mitglied des ICC International Court of Arbitration in Paris.
Tanja, Du hast Deine Ausbildung in Lausanne und Cambridge absolviert und hast nicht nur in der Schweiz, sondern auch zeitweise in London bei Wilmer Cutler Pickering Hale & Dorr als Anwältin gearbeitet. Warum bist Du schliesslich dennoch in die Schweiz zurückgekehrt?
Einfach war die Entscheidung sicher nicht. Auf der einen Seite hatte ich die Möglichkeit, in einem der renommiertesten internationalen Arbitration-Teams unter der Leitung von Gary Born weiterzuarbeiten. Auf der anderen Seite konnte ich zu meiner "alten" Anwaltskanzlei nun als Partnerin zurückkehren. In der Schweiz hatte ich zudem die Möglichkeit, von Anfang an den Entscheidungsprozess und die Strategie eines Falles mitzubestimmen. Die vergleichsweise kleinere Struktur bot mir mehr Raum für Selbstständigkeit und den Aufbau eigener Klientenbeziehungen, weshalb ich mich schlussendlich entschied, in die Schweiz zurückzukehren. Zudem ist die Lebensqualität in der Schweiz schwer zu übertreffen.
Nach Deinem LL.M. hast Du auch im Rahmen des „Claims Resolution Tribunal for Dormant Accounts (Holocaust Victim Assets Litigation)“ in Zürich gearbeitet. Was hat Dich bewegt, dort zu arbeiten?
Ich wurde während meiner LL.M.-Zeit in Cambridge auf die Tätigkeit des Claims Resolution Tribunal aufmerksam. Ich fand das ganze Thema der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und insbesondere das Verhalten der Schweizer Banken in dieser Zeit sehr spannend und dessen Aufarbeitung sehr wichtig. Es war eine Gelegenheit, an einem historisch einmaligen, internationalen Verfahren teilzunehmen, was ich als sehr bereichernd empfand. Die Arbeit war juristisch vielleicht nicht allzu anspruchsvoll, dafür aber in politischer Sicht hochbrisant.
Haben Deine Erfahrungen dort Deine weitere Tätigkeit als Anwältin geprägt?
Generell glaube ich, dass einen alle Erfahrungen im Berufsleben in irgendeiner Form prägen und weiterbringen. Die Arbeit beim Claims Resolution Tribunal war interdisziplinär und international ausgerichtet, da Historiker, Anwälte, Juristen und Schiedsrichter aus aller Welt zusammenarbeiteten. Ich konnte mich hier u.a. mit Persönlichkeiten wie Howard M. Holtzmann oder Paul Volcker austauschen, was sehr bereichernd und prägend war.
Du bist seit zehn Jahren Partnerin bei Pestalozzi Rechtsanwälte und seit Juli 2017 auch Mitglied des ICC International Court of Arbitration in Paris. Wie kam es zu Deinem (teilweisen) Schritt von der anwaltlichen Beratung in die Tätigkeit als Schiedsrichterin?
Der Grossteil meiner anwaltlichen Tätigkeit bestand bisher in der Vertretung von Mandanten vor internationalen Schiedsgerichten. Nach einer gewissen Zeit und mit fortschreitender Erfahrung – und es geht meist um Alter und Seniorität – wird man zunehmend auch als Schiedsrichterin ernannt. Auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit ist das eher eine natürliche Entwicklung und die meisten praktizierenden Anwälte sind wohl für beides (Schiedsrichter und Counsel) offen.
Was waren für Dich eindrückliche oder spannende Momente als Schiedsrichterin bisher?
Es gibt wohl verschiedene; jeder Fall hat seine eigenen Momente. Nicht inhaltlich, dafür aber für sich genommen beeindruckend war die Möglichkeit, als Schiedsrichterin in einem Verfahren des Permanent Court of Arbitration in Den Haag (PCA) amtieren zu können. Die Hauptverhandlung führten wir am Sitz des PCA im sogenannten Friedenspalast, einem beeindruckenden historischen Gebäude, in welchem auch der Internationale Gerichtshof tagt.
Wie hat sich Deine Arbeit als Anwältin parallel zu Deiner Mitgliedschaft am ICC Court verändert? Welche Herausforderungen gab es für Dich, zeitlich und organisatorisch beiden Aufgaben gerecht zu werden?
Durchschnittlich reise ich einmal pro Monat für ein oder zwei Tage nach Paris, um dort an den Sitzungen des ICC Court teilzunehmen. Ich kann die Daten relativ weit im Voraus bestimmen, was die Tätigkeit aus organisatorischen Gründen einfacher macht. Zudem gibt es auch ausserordentliche telefonische Sitzungen (ca. 1-2 Stunden). Die Vorbereitung der Sitzungen kann recht zeitintensiv sein und man muss hierzu genügend Zeit an den Tagen vor den Sitzungsterminen freihalten, wobei die Anreise nach Paris da sehr gut passt; (lacht) vier Stunden Zugfahrt gehen schnell vorbei, wenn ein Schiedsspruch mehrere hundert Seiten lang ist!
Die Mandatsarbeit läuft daneben parallel aber wie gehabt weiter. Die Tätigkeit als ICC Court Mitglied ist ehrenamtlich. Ich bin sehr glücklich über diese Chance, am Ende haben die Klienten aber freilich Priorität.
Wenn wir von Herausforderungen sprechen: Du bist nach Deiner Ernennung zur Partnerin Mutter geworden. Hattest Du den Eindruck, dass Du dadurch von Kollegen anders wahrgenommen wurdest?
Zu einem gewissen Grad ja. Es gibt wohl schon so etwas wie ein sogenannter "unconscious bias" – man wird neu als arbeitstätige "Mutter" und nicht einfach nur als Anwältin gesehen. Mir war immer wichtig, ehrlich mit meinen Kollegen und mir selbst zu sein, auch was zeitliche oder terminliche Einschränkungen anbelangt, die sich mit Kleinkindern eben auch einstellen.
Ich glaube tatsächlich, dass sich die Prioritäten ändern, wenn man Mutter wird. Das war jedenfalls für mich so. Das bedeutet m.E. aber nicht zwingend, dass man als Juristin oder Anwältin weniger verfügbar oder belastbar bzw. weniger leistungsfähig ist. Die Mutterschaft brachte aber organisatorische Hürden mit sich, die ich vorher nicht kannte. Unbemerkt bleibt oft, was für ein Organisationsaufwand im Hintergrund läuft, damit man seine Leistung erbringen kann.
Mit Klienten oder Korrespondenzanwälten habe ich eigentlich diesbezüglich nur gute Erfahrungen gemacht, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um Frauen oder Männer handelte. Wenn ich z.B. an einer Telefonkonferenz von zu Hause aus teilnehme, kommuniziere ich das auch so den anderen Teilnehmern; und falls dann meine Kinder sich im Hintergrund tatsächlich bemerkbar machen, stosse ich normalerweise auf Verständnis – und es ist "business as usual".
In der Schweiz gibt es im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nur ein limitiertes Angebot an Kinderbetreuungsplätzen, weshalb es am Einzelnen liegt, sich zu organisieren. Sollte es hier nach Deiner Erfahrung ein grösseres Entgegenkommen geben von Arbeitgebern und Gesellschaft?
(lacht) Don't get me started! Die Schweiz hat hier einen grossen Nachholbedarf. Wir haben keine Grosseltern oder andere Familienangehörige in der Nähe, die hier unterstützen oder einspringen könnten. Wir sind dadurch komplett auf Nanny, Krippen, Schulen und Mittagstisch, etc. angewiesen. Sobald etwas Unplanmässiges eintritt, wird es schwierig. Bekommt meine Tochter über Nacht Fieber, muss ich am Morgen mindestens vier Anrufe an die verschiedenen Betreuer und Einrichtungen tätigen, um diese zu informieren und die Betreuung neu zu koordinieren.
Kinderbetreuung ist auch ein gewichtiger Kostenpunkt. Die hohen Kosten für private Betreuungseinrichtungen verbunden mit dem Fehlen einer angemessenen steuerlichen Abzugsfähigkeit von Fremdbetreuungskosten bedeuten, dass für Mütter je nach Verdienstmöglichkeit und der Anzahl Kinder kaum noch ein finanzieller Anreiz verbleibt, einem eigenen Erwerbseinkommen nachzugehen.
In der Schweiz besteht ein klarer Bedarf an besseren Betreuungsstrukturen.
Was denkst Du müsste sich ändern, um junge Frauen nach der Geburt von Kindern verstärkt in die Berufstätigkeit zurückzuholen?
Es braucht bessere Betreuungsstrukturen und -möglichkeiten, wobei auch eine Unterstützung bei der Vermittlung der verschiedenen Angebote wichtig wäre. Eine effiziente und professionelle Vermittlung von flexiblen Betreuungseinheiten, wie sie heute grössere Unternehmen bereits zu Verfügung stellen, kann hier viel bewirken.
Zudem sollte ihnen konsequent ermöglicht werden, ihre "Präsenzzeiten" flexibel zu gestalten bzw. "remote" oder von Extern zu arbeiten. Damit das dann wirklich auch klappt, muss "home office" natürlich auch heissen, dass man dann eben zu Hause auch wirklich erreichbar ist. Selbst wenn die Mehrheit der jungen Mütter erst einmal bei der Arbeitszeit vielleicht einen Gang zurückschaltet, ist das doch meistens nur vorübergehend. Sobald die Kinder etwas selbstständiger sind, wollen viele ihre Arbeitszeit wieder erhöhen. Über eine ganze Karriere betrachtet, ist es also keine lange Zeitspanne, von der wir hier reden.
Und wie kann man Männer an diesem Prozess beteiligen?
Meiner Ansicht nach sollten Teilzeitregelungen gleichermassen auch für Männer möglich sein. Ich habe schon von verschiedenen männlichen Kollegen, die junge Väter sind, gehört, sie würden gerne ihre Arbeitszeit erst einmal etwas reduzieren, aber diesen Schritt aus Karriereüberlegungen dann eben doch nicht machen. Die Stigmatisierung ist insofern für Väter noch stärker als für Mütter. Hier muss sich eine Änderung in den Köpfen vollziehen – zu der es aber nur kommen wird, je mehr es probiert wird. Hierzu braucht es mehr Mut und genügend Geduld.
In den letzten Jahren scheinen insgesamt in den zürcherischen Wirtschaftskanzleien weniger Partner ernannt worden zu sein als früher – denkst Du, dass diese Entwicklung an einer veränderten Nachfrage oder veränderten Bedürfnissen junger Juristen und Juristinnen liegt?
Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Eindruck wirklich zutrifft. Falls ja, mag es allenfalls schon etwas damit zu tun haben, dass die jüngere Generation verstärkt auf die work life balance zu achten scheint, was grundsätzlich ja positiv ist. Andererseits ist es einfach eine Realität, dass eine Vergütung der Anwälte nach Zeitaufwand verbunden mit einer partnerschaftlichen Organisationsform der Kanzleien dazu führt, dass eine hohe Leistungsbereitschaft abverlangt wird.
Zudem hat sich der Wettbewerb unter den Anwaltskanzleien, jedenfalls im Bereich Schiedsgerichtsbarkeit, noch stärker globalisiert. Junge Anwältinnen und Anwälte, die die Partnerschaft als Ziel haben, können sich nicht einfach auf einen wachsenden Heimmarkt verlassen, sondern es ist zunehmend schwierig, eigene Fälle und Mandanten zu akquirieren und zu halten.
Wie schätzt Du hierbei die Rolle von Vorbildern und Mentoren ein, gerade für junge Frauen?
Ein Mentoring-System kann zweifellos helfen und im Idealfall gar als Katalysator wirken. Feedback und aktive Betreuung sind für junge Kolleginnen sehr wertvoll, aber leider weiss ich aus eigener Erfahrung auch, dass das mangels zeitlicher Verfügbarkeit im Berufsalltag oft zu kurz kommt. Junge Frauen sind teils zu zurückhaltend, um das Thema von sich aus anzusprechen oder um Feedback zu ersuchen. Das ist sicher individuell, aber generell sollten sich jüngere Kolleginnen nicht scheuen, aktiv von ihren weiblichen Vorgesetzten Feedback und Mentoring einzufordern.
Welche Juristin hat Dich so inspiriert, dass sie als Vorbild für breaking.through nominiert werden sollte und wieso?
Tatsächlich muss ich eingestehen, dass ich am Anfang meiner Karriere nur wenigen Frauen in Führungspositionen begegnet bin; sei dies an der Universität, den Kanzleien oder am Gericht. Eine Ausnahme war Cornelia Apolloni Meier. Sie war Richterin am Bezirksgericht, als ich dort Praktikantin war, und ist heute Oberrichterin im Kanton Bern. Sie hat mich während meiner Ausbildungszeit sehr unterstützt: Sie ist mir jeweils mit Rat und Verständnis zur Seite gestanden und hat mir Mut zugesprochen, wenn nötig. Sie ist eine unglaublich engagierte Juristin und als solche, diejenige Person, die mir ein Vorbild war und das auch heute noch ist.
Vielen Dank für das Gespräch und die Zeit, die Du Dir dafür genommen hast!
Zürich, 27. November 2018. Das Interview führte Charlotte Rosenkranz.
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